ForuM – Forschung zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und anderen Missbrauchsformen in der evangelischen Kirche und Diakonie in Deutschland

Dissens beteiligt sich im Forschungsverbund “ForuM – Forschung zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und anderen Missbrauchsformen in der evangelischen Kirche und Diakonie in Deutschland”. Ziel des Forschungsverbundes ist eine Gesamtanalyse evangelischer Strukturen und systemischer Bedingungen, die sexualisierte Gewalt begünstigen und ihre Aufarbeitung erschweren. Damit soll eine empirische Basis für weitere Aufarbeitungsschritte entstehen. Der Forschungsverbund hat im Dezember 2020 die Arbeit aufgenommen. Ergebnisse der Studie sollen im Herbst 2023 vorliegen. Die Studie besteht aus fünf Teilstudien, von denen eine zum Thema “Perspektiven Betroffener“ im IPP München angesiedelt ist und in Kooperation mit Dissens - Institut für Bildung und Forschung e.V. durchgeführt wird.

Ziel des Teilprojektes ist die multiperspektivische Rekonstruktion von Fällen (sexualisierter) Gewalt und des institutionellen Umgangs mit diesen aus der Perspektive von sexualisierter Gewalt betroffener Menschen. Dabei soll eine möglichst heterogene Bandbreite von Gefährdungsszenarien und Betroffenheitskonfigurationen über verschiedene institutionelle Milieus hinweg abgebildet werden. Um das Spektrum von belastenden Erfahrungen abzubilden, wird die Studie mehrere Differenzierungsdimensionen in Augenschein nehmen:

  • unterschiedliche Gewaltformen,
  • unterschiedliche Betroffenen-Täter*innen-Konstellationen,
  • unterschiedliche institutionelle Settings, innerhalb derer Gewalt ausgeübt wurde,
  • unterschiedliche historische Phasen, in denen (sexualisierte) Gewalt ausgeübt wurde und in denen Aufdeckung und Aufarbeitung initiiert oder verhindert wurden.

Die Teilstudie ist zweistufig angelegt. Im Kern stehen ca. 40 leitfadengestützte, problemzentrierte Interviews mit weiblichen und männlichen Betroffenen und die Analyse der jeweiligen Akten. 10 ausgewählte Fälle, die nach Möglichkeit die unterschiedliche institutionelle Settings berücksichtigen, in denen sexualisierte Gewalt erlebt werden musste, werden Tiefenanalysen unterzogen. Hier werden Interviews mit relevanten Akteuren des Systems geführt, nach Möglichkeit auch die Täter*innen befragt und vertiefte Aktenstudien durchgeführt.

Die Erkenntnisse aus verschiedenen Datenquellen werden zu einer Gesamtperspektive integriert, die auch kontrastierende, widersprüchliche und kontroverse Sichtweisen sowie deren Entstehungszusammenhänge, Logiken und Funktionen berücksichtigt. Dazu kommen ca. 20 Interviews mit Expert*innen sowie Vertreter*innen von Institutionen (z. B. Einrichtungsleiter*innen, Gemeindemitgliedern usw.). Dabei geht es vor allem auch darum, das je spezifische Funktionieren unterschiedlicher institutioneller Settings wie etwa Heime, offene Jugendarbeit, Kirchengemeinden oder Seelsorge.

Betroffene werden, so weit möglich und von diesen Gewünscht, in allen Schritten des Forschugsprozesses als Co-Forscher*innen einbezogen. Derzeit sind drei Co-Forschende an der Durchführung des Teilprojektes beteiligt.

Von seiten des IPP wird die Teilstudie durch Helga Dill, Peter Caspari und Tinka Schubert durchgeführt. Als Co-Forschende sind Horst Eschment, Christiane Lange und Detlev Zander an der Teilstudie beteiligt.

Der Forschungsverbund ForuM

Der Forschungsverbund ForuM besteht aus 5 Teilstudien und einem Metaprojekt. Koordiniert wird der Forschungsverbund von Prof. Dr. Martin Wazlawik von der Hochschule Hannover. Am Verbund beteiligt sind weiter die Forschungsstelle Zeitgeschichte Hamburg (Prof. Dr. Thomas Großbölting), die Bergische Universität Wuppertal (Prof. Dr. Fabian Kessl), die Freie Universität Berlin (Dr. Friederike Lorenz), das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (Dr. Safiye Tozdan und Prof. Dr. Peer Briken) sowie das Zentralinstitut für seelische Gesundheit Mannheim (Prof. Dr. Harald Dressing) und die Universität Heidelberg (Prof. Dr. Dieter Dölling).

Der Forschungsverbund ForuM zeichnet sich durch eine breite interdisziplinäre Zusammensetzung (Soziale Arbeit, Geschichtswissenschaft, Erziehungswissenschaft, Psychologie, Soziologie, forensische Psychiatrie, Sexualwissenschaft, Kriminologie) aus. Die verschiedenen inhaltlichen Fokusse der Teilprojekte basieren auf den verschiedenen Strukturebenen sexualisierter Gewalt. Der Forschungsverbund arbeitet nicht ausschließlich explorativ, sondern baut auf bereits vorhandenen Erkenntnissen zu Fragen von sexualisierter Gewalt in Institutionen und im Raum der evangelischen Kirche und Diakonie auf. Die Evangelische Kirche Deutschlands (EKD) beteiligt sich mit 3,6 Millionen Euro finanziell an der breit angelegten Studie.

Das Gender-Sternchen (*) dient als Verweis auf den Konstruktionscharakter von "Geschlecht". Wenn das Sternchen hinter einer Personenbezeichnung (z.B. Jungen*) steht verdeutlicht es, dass hier explizit alle Menschen gemeint sind, die sich mit dieser Bezeichnung identifizieren, durch sie definiert werden und/oder sich sichtbar gemacht sehen. Dadurch wird ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, dass sich unter der Bezeichnung verschiedene, vielfältige Positionierungen sammeln können. Gleichzeitig dient das Sternchen als Platzhalter um Raum für verschiedene geschlechtliche (und sexuelle) Verortungen zu lassen.