Work Changes Gender

Summary

Neue Formen der Arbeit – Neue Orientierungen für männliche Lebensweisen

Chancen für die Gleichstellung der Geschlechter

Work Changes Gender

Das interdisziplinäre EU-Forschungsprojekt Work Changes Gender hat Zusammenhänge von veränderten Arbeitsbedingungen, dem Selbstbild von Männern und den Geschlechterverhältnissen in Norwegen, Spanien, Deutschland, Österreich, Bulgarien und Israel untersucht.

Ausgangspunkt der Untersuchung waren weitreichende Veränderungen im Geschlechterverhältnis am Arbeitsmarkt in den letzten Jahrzehnten. Nur noch eine Minderheit der erwerbsfähigen Männer ist in einem „Normalarbeitsverhältnis“ beschäftigt. Das zeigt sich an verschiedenen Entwicklungen in der EU seit 1988: die Rate der erwerbslosen Frauen sinkt von hohem Niveau, während die Rate der erwerbslosen Männern von einem deutlich niedrigeren Niveau her steigt. Männer arbeiten heute häufiger in befristeten Arbeitsverhältnissen, die Tendenz ist bei Männern und Frauen steigend, aber die Zahl der Männer nährt sich der der Frauen an. Die Zahl der Teilzeit arbeitenden Männer in der EU hat sich seit 1988 von 3,1 auf 6,1 Millionen verdoppelt, die der
Frauen auf sehr viel höherem Niveau steigt nur geringfügig.

Mit der Untersuchung sollten solche Strategien von Männern im Umgang mit diesen Veränderungen identifiziert werden, die an Lebensqualität und Gleichstellung orientiert sind. Neben ökonomischen Datenanalysen und Expertengesprächen wurden zu diesem Zweck in den beteiligten Ländern insgesamt 140 teilstrukturierte Interviews mit Männern durchgeführt. Es wurden vor allem Männer, die freiwillig von der Normalarbeitszeit abwichen und z.B. Teilzeit arbeiteten, nach ihren Erfahrungen befragt.

 

In Organisationen hält eine gläserne Decke nicht nur Frauen, sondern auch Männer, die nicht voll erwerbstätig sind, von höheren Positionen und Karriere fern.

In den Institutionen unserer Gesellschaft wird Männern Beruf und Karriere selbstverständlich zugeschrieben. Die höhere Bewertung eines "Normalarbeitsverhältnisses“ gegenüber anderen Arbeitsformen machen es immer noch schwer, Teilzeitarbeit oder Erwerbsunterbrechungen mit Karrieremöglichkeiten zu verbinden. In Deutschland werden Männer, die freiwillig von der Vollzeitnorm abweichen, in ihren Organisationen häufig als Exoten und Aussteiger behandelt und betrachtet. Dies machten Expertengespräche u.a. mit Gleichstellungsbeauftragten und Beschäftigten deutlich.

In den Interviews betonten viele Männer, dass ihre Erwerbsabweichung ihre Karriere behindere. Ein deutscher Angestellter, der Teilzeitarbeit wählte, erläutert: “In dem Moment, wo du entscheidest auf Teilzeit zu gehen, bist du - karrieremäßig – tot. Es wäre naiv, anders darüber zu denken, zu glauben, dass du immer noch eine Chance hättest.” Diese Verluste an potentiellem Ansehen, Macht und Einkommen werden aber meist bewußt in Kauf genommen.

Anders in Norwegen: Dort wird z.B. der für den Mann „reservierte“ Erziehungsmonat von inzwischen 90% der Männer genutzt. Beim zweiten und dritten Kind nehmen Männer mehr arbeitsfreie Erziehungszeit. Eine geringere Gewichtung von Beruf und eine stärkere von Familie wird hier als befriedigend erlebt. Der vorherrschende Wunsch von Vätern, Ernährer und Erzieher ihrer Kinder zu sein, kann also staatlicherseits gefördert, von immer mehr Männern verwirklicht und zum neuen Leitbild für Väter werden.

 

Männer streben Lebensformen jenseits von Rollenklischees an.

Bei den befragten Männern fanden sich bemerkenswert viele unterschiedliche Motive für Arbeitsreduzierungen: Partnerschaft, Wahrnehmung von Betreuungspflichten oder -wünschen, soziales Engagement oder einfach der „Anspruch auf das ganze Leben“. Die so gewonnene Lebensqualität wird bewusst gegen eine berufliche Karriere aufgerechnet.

Deutlicher als in der Berufswelt zeigt sich eine Veränderung der Werte von Männern im privaten Lebensbereich. In der Europäischen Union findet eine Differenzierung der Gestaltung von Lebensgemeinschaften statt. Die Lebensformen der befragten Männer waren dementsprechend vielfältig: Sie reichten von Alleinerziehenden, Singles, (Ehe-)Paaren, Lebensgemeinschaften wie Wohngemeinschaften bis zu homosexuellen und heterosexuellen „Living-apart-together-Paaren“. Diese Lebensformen führen zu unterschiedlichen Arbeitsverteilungen in diesen Gemeinschaften und auch zu neuen Formen der emotionalen Reproduktion.

 

 

Männer in Betreuungssituationen erleben auch im Privatleben starke Irritationen.

Ein Ergebnis aus unseren Interviews mit Männern in Betreuungssituationen ist, das die oftmals neuen und vielfältigen Anforderungen und Veränderungen anfänglich viele Männer stark verunsichern. Auf dem Kinderspielplatz, „allein unter Müttern“, werden aktive Väter als Exoten, Ausnahmen usw. wahrgenommen. Aus dementsprechenden Reaktionen fühlen sie sich in ihrem Selbstverständnis als Mann verunsichert und deplaziert („Misplacement“). Dies wird im späteren Verlauf durch Reflexion und die Veränderung der sozialen Kontakte und Netzwerke bewältigt.

In Deutschland und Österreich wirkt sich ein sehr ausgeprägtes traditionelles Familienbild, verbunden mit einer geschlechterdualistischen Arbeitsteilung, sehr negativ aus - hier haben die Männer mit ideologischen Stereotypen zu kämpfen. Demgegenüber gehen Männer in Bulgarien vor dem Hintergrund einer starken Erwerbsarbeitsorientierung von Frauen sehr pragmatisch an Betreuungsaufgaben heran, diese fechten sie in ihrem Männlichkeitskonzept nicht an.

 

Dieses andere Verhalten von Männern ist aber nicht in ein Konzept neuer Männlichkeit zu fassen, bleibt vielmehr oft isoliert. Es ist meist auch nicht mit einem Anspruch auf Gleichstellung verbunden. Die meisten der von uns befragten Männer in nicht traditionellen Arbeitsverhältnissen definieren die Position von Männern in der Gesellschaft nicht neu. Obwohl sie einige Elemente „Neuer Männlichkeit“ bejahen und auch verwirklichen, vertreten viele zu Teilen auch traditionelle Männlichkeitskonzepte. Einzelne neue Deutungsmuster werden nicht zu einem Gesamtverständnis einer anderen, neuen Männlichkeit verknüpft. Diese ist für sie vor dem gegenwärtigen gesellschaftlichen Hintergrund nicht erfahrbar. In vielen europäischen Ländern werden andere, individuelle Selbstverständnisse von Männern noch nicht anerkannt. Somit verharren viele Männer bei alten, von der sozialen Realität weitgehend entkoppelten Leitbildern oder fallen darauf zurück. Doch Zufriedenheit jenseits des „Normalarbeitsverhältnisses“ ist möglich, wenn diese Arbeits- und Lebensform selbst gewählt wurde.


Männer brauchen eine an sie gerichtete Gleichstellungspolitik.

Obwohl sich die neue Strategie des Gender Mainstreaming konzeptionell gleichermaßen auf Frauen und Männer bezieht, fällt es auch mit diesem Konzept vielen AkteurInnen in Gleichstellungsprozessen noch sehr schwer, Männer nicht nur als „Verhinderer“ oder „Unterstützer“ einer frauenorientierten Gleichstellungspolitik zu sehen, sondern als Zielgruppe einzubeziehen - mit eigenen Gleichstellungsinteressen und -anforderungen. Die befragten Männer sehen Gleichstellungspolitik nicht als eine Politik ab, die potentiell auch für Männer etwas bewirken kann.  Sie fühlen sich oftmals nicht angesprochen, ihre Interessen im Rahmen einer Gleichstellungspolitik umzusetzen, und greifen auf individuelle Strategien zurück.

Dabei können Männer ebenso wie Frauen Unterstützung brauchen, benötigen z.B. auf der Suche nach Teilzeit- oder familienfreundlichen Lösungen innerbetriebliche AnsprechpartnerInnen und kollektive Interessenvertretungen. Gleichstellungspolitik böte dafür einen geeigneten Rahmen, könnte das Bild von traditionellen Männlichkeiten hinterfragen und die Aufmerksamkeit auf die Vielfalt der Lebenslagen und Männlichkeitsentwürfe von Männern lenken.